Aus der Geschichte des Protestantismus in Leszno/Lissa im 19. und 20. Jahrhundert. Über Geschichte, Gedächtnis und Identitätsbildung im deutsch-polnischen Grenzgebiet – Zusammenfassung

Olgierd Kiec

Aus der Geschichte des Protestantismus in Leszno/Lissa im 19. und 20. Jahrhundert. Über Geschichte, Gedächtnis und Identitätsbildung im deutsch-polnischen Grenzgebiet

Nach Leszno, einer adeligen Privatstadt, kamen Mitte des 16. Jahrhunderts Böhmische Brüder aus Tschechien als protestantische Siedler. Im 17. Jahrhundert haben sich die Gemeinden der Böhmischen Brüder in Großpolen mit den Evangelisch – Reformierten (Kalvinisten) verbunden und dadurch eine neue kirchliche Gemeinschaft gebildet, die als Unität bezeichnet wurde. Während des 30-jährigen Krieges im 17. Jahrhundert haben weitere böhmische Flüchtlinge Zuflucht in Leszno gefunden, unter diesen war Jan Amos Komeński (Johann Amos Comenius). Durch die Zunahme wurde die Gemeinde in Leszno zum Zentrum der großpolnischen Unität. Die Gemeinde stützte sich nicht nur auf die adelige Protektion, sondern auch auf eigene Initiativen, wozu auch das seinerzeit berühmte Gymnasium gehörte mit Amos Comenius als Rektor.
Während des 30-jährigen Krieges im 17. Jahrhundert siedelten sich in Leszno nicht nur Tschechen an, sondern auch sehr viele Deutsche, Flüchtlinge aus dem nahe gelegenen Schlesien, die in der Stadt die lutherische Kreuzkirchen-Gemeinde gründeten. Leszno wurde dadurch zum inoffiziellen Zentrum des großpolnischen Protestantismus. Das wurde im Jahr 1775 bestätigt, als man in Leszno eine lutherische Synode einberufen und ein lutherisches Konsistorium gebildet hat, in Verbindung mit der Rechtsprechung für ganz Großpolen.
Im 19. Jahrhundert wurden die beiden evangelischen Gemeinden, die kalvinistische und die lutherische, in die Strukturen der preußischen Evangelisch-Unierten Kirche eingegliedert. Die von den Preußen verlangte vollständige Vereinheitlichung der beiden Glaubensrichtungen ist nicht gelungen. Ein wesentlicher Faktor, der dazu beigetragen hat, den Unterschied der Unität zu bewahren, war ihre Geschichte. Die folgenden Pastoren der Unitätsgemeinde, – seit 1833 als evangelische St. Johannisgemeinde bezeichnet -, die meistens aus Niederschlesien kamen, waren sehr schnell von der Vergangenheit der großpolnischen Unität fasziniert. Doch erst Wilhelm Bickerich, Pfarrer an der Johanniskirche in den Jahren 1896–1934, betrieb professionelle geschichtliche Forschungen. Zugleich verbreitete er seine Ergebnisse unter den Protestanten in Großpolen, vor allem durch Publikationen. Die Hauptvoraussetzungen seiner historiographischen und gleichzeitigen Identitätsvorstellungen der Vergangenheit des Protestantismus in Westpolen können in zwei Hauptpunkte zusammengefasst werden. Erstens waren die Protestanten, vor allem die Deutschen, keine Eroberer, sondern Vorposten der westlichen Zivilisation, eingeladen vom polnischen Adel zur Ansiedlung. Sie haben zur Entwicklung der polnischen Kultur und Wirtschaft wesentlich beigetragen. Sie haben auch ein ständiges Aufenthaltsrecht in Großpolen bekommen, aber der zusätzliche Faktor, der ihre Anwesenheit auf der polnischen Erde legitimierte, sollte ihr Märtyrerblut sein. Bickerich war der Meinung, dass die Protestanten während ihres über 300-jährigen Aufenthaltes in Polen verfolgt waren und das Ende dieses Martyriums sollten erst die Teilungen Polens bringen.
Die lutherische Kreuzkirchengemeinde in Leszno, obwohl größer als die evangelisch- reformierte Gemeinde, wurde zum Forschungsgegenstand der professionellen geschichtlichen Untersuchungen erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Autor dieser fundamentalen Quellen-Bearbeitung war Gottfried Smend, der Pfarrer der Kreuzkirchengemeinde in den Jahren 1896-1935 und Superintendent des Lissaer Kirchenkreises.
Nach der Wiederherstellung des polnischen Staates haben die meisten Protestanten Leszno verlassen und sind ins Reich abgewandert. Die beiden Gemeinden blieben bis 1945 tätig. Zusätzlich hatte man in Leszno ein Alumnat eröffnet, d.h. ein Internat für Schüler des Gymnasiums, die später evangelische Theologie studieren wollten. Nach 1920 sind auch polnische Evangelische nach Leszno gekommen, aus dem ehemaligen russischen Teilungsgebiet und aus Cieszyn Śląski/Teschen. Sie haben 1926 die polnische Evangelisch-Augsburgische Gemeinde gebildet als Filiale der polnischen Evangelisch-Augsburgischen Gemeinde in Poznań/Posen, die ganz unabhängig von der Evangelisch- Unierten Kirche war. 1939 wurde diese Filiale durch die deutsche Besatzungsmacht liquidiert, aber 1945 wieder aufgebaut. Sie wirkte in Leszno als einzige organisierte lutherische Pfarrgemeinde, die die seelsorgerische Betreuung übernahm auch der in der Stadt und Umgebung verbliebenen Evangelischen, die in der Vergangenheit der Evangelisch-Unierten Kirche angehört haben. 2002 wurde die Filiale in Leszno in eine selbständige Pfarrei der Evangelisch- Augsburgischen Kirche umgewandelt.

tłum. Izabela Warciarek, Renate Sternel